Diskussionsbeitrag zum Thema „Klimaneutrale Zementindustrie“           4.11.2021

Im Patriotleitartikel vom 3.11.21 wird mit der Überschrift „Zement klimaneutral machen“ der Eindruck erweckt, dass man zeitnah die Zementproduktion in Erwitte und Geseke klimaneutral d.h. mit Null-Netto -CO2 –Emission umbauen könne. Das herstellungsbedingte Kohlendioxid, das durch das Kalkbrennen von Calciumcarbonat zu Calciumoxid zwangsläufig anfällt, soll „aufgefangen und konzentriert“ werden, um dann daraus „künstliche Treibstoffe oder neue Grundstoffe wie Säuren und bestimmte Alkohole zu machen“. Das Land NRW fördert den „Sach-und Personalkostenaufwand der Initialphase von 220000 Euro voraussichtlich zu 90%, die restlichen 10 Prozent zahlen die beiden Kommunen. Zusammen mit den Zementwerken und dem Verein deutscher Zementhersteller, die dieses „Projekt“ begrüßen, soll es dann gelingen „die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen“. Zugleich wird aber deutlich gemacht, dass „Wassersoff als Brennstoff  verfahrenstechnisch nur bedingt geeignet ist“ und daher die Müllverbrennung weiter geht.

Wenn man der Pressemitteilung auf den Grund geht, kommen doch einige Zweifel an der vollmundigen Ankündigung auf, auch wenn wir grundsätzlich die Idee begrüßen und uns nicht dagegen sperren werden.

Zunächst wird das prozessbedingte Kohlenstoffdioxid zu einem großen Teil beim Abbinden des Zementes wieder aus der Luft aufgenommen und diese Menge ist nicht vernachlässigbar, wie es im Artikel behauptet wird. Das CO2 , das zurzeit durch das Verbrennen von Wohlstandsmüll entsteht, und zum Aufheizen der Drehrohröfen auf 1500 Grad dient, könnte man ganz durch grünen Wasserstoff ersetzen, d.h. Wasserstoff, der durch regenerativen Strom mit Elektrolyse hergestellt wird. Das setzt aber voraus, dass Windkraft- und Solarenergie massiv ausgebaut werden müssten.  Das „Auffangen und Konzentrieren von Kohlendioxid und dessen chemischer Umbau zu Methanol und zur Herstellung von organischen Säuren durch Carboxylierung oder die Herstellung von Kraftstoffen (Kohlenwasserstoff) erfordert ebenfalls den Einsatz von Wasserstoff bzw. Energie. Und leider erzeugt das synthetische Benzin auch wieder Kohlenstoffdioxid.

Die Herstellung von Benzin aus Kohle bzw. Kohlendioxid ist nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren  schon seit dem 2. Weltkrieg möglich, aber energieaufwändig. Das gilt ebenfalls für die Synthese von Methanol und Säuren. Und das Auffangen von Kohlenstoffdioxid aus der Zementproduktion durch Adsorption nach dem DAC –Verfahren (Direct Air Capture) ist noch in der Forschung, bzw. es gibt drei Firmen, die weltweit führend sind, keine davon kommt aus Deutschland. Eine der großen Hürden der Umsetzung nach den o.g. Verfahren sind die relativ hohen Kosten einer DAC Anlage. Nach Angaben aus APS physics aus 2019 kostet die Abscheidung von 1 Megatonne (1 Mill Tonnen) pro Jahr 2,2, Milliarden Dollar, andere Studien kommen zu einem Ergebnis zwischen 30-200 Dollar pro Tonne. Nach einer jüngsten Studie (2020) im Auftrag des Ministeriums für Verkehr in Baden-Würtemberg (Grüner Ministerpräsident) rechnet sich das DAC erst, wenn sich der CO2– Preis massiv erhöht. Der Strombedarf des DAC ist  laut Studie 1400-2500 kWh/t CO2 .  Die chemische Industrie würde wahrscheinlich kein Interesse haben, das CO2  aus DAC als Rohstoff (s.o.) zu verwenden, wenn es weltweit billigere Quellen gibt. Ja, bei der Zementherstellung entstehen relativ hohe CO2 –Konzentrationen und Abwärme, die einen DAC Einsatz ohne Zweifel eher geeignet erscheinen lassen als in anderen Branchen, aber bis zur Umsetzung werden noch Jahrzehnte ins Land gehen.

Es ergeben sich folgende kritische Nachfragen:

  1. Weshalb soll die Müllverbrennung in der Zementindustrie weiter gehen, obwohl der Brennstoff die Haupt-Steuerungsmöglichkeit zur Verminderung des Kohlenstoffdioxids ist ?
  2. Mit welchen finanziellen Mitteln beteiligt sich der Verein deutscher Zementhersteller und die heimische Zementindustrie an dem Initialprojekt ?
  3. Was soll konkret mit den 220000 Euro finanziert werden? Sind es in der Hauptsache Gutachten oder ist es Grundlagenforschung? Im zweiten Fall wäre der Betrag außerordentlich spärlich.
  4. Im Patriotinterview wird die Frage nach einer lukrativen staatlichen Anschlussfinanzierung gestellt. Ist die in der augenblicklichen Finanzlage der öffentlichen Kassen zu erwarten und gesichert oder ist das ein Projekt der „Schaufensterpolitik“ in der Nähe der Landtagswahlen im kommenden Jahr?

Fazit: Für das „Auffangen des Kohlenstoffdioxids“ müssen große Räder gedreht werden. Es braucht vor allem gigantische Energiemengen, die dann letztlich durch regenerative Umwandlungen zur Verfügung stehen müssen. Wir brauchen keine vollmundigen Ankündigungen und keinen Aktionismus, denn auch die bescheiden anmutenden Fördergelder sind Steuergeld.

Die grundsätzliche Idee ist sicher gut, wenn im Vorfeld klar ist, dass dadurch innovative Grundsatzforschung möglich ist. Mit diversen Gutachten oder Ideen, die nicht weiterverfolgt wurden, hat die Stadt Erwitte schon reichlich Erfahrung.