15.07.2022

Bild: BG-Mitglied Heinrich Bergmann setzte sich zusammen mit August Boers erfolgreich für den Erhalt des Wäldchens an der  Fredegrasstraße in Bad Westerkotten ein.

Patriot-Lokalseite Erwitte

Bebauung in Bad Westernkotten verhindert, Bürgerinitiative erleichert: „Der Kampf hat sich gelohnt“

VON BJÖRN THEIS AM 15. JULI 2022 17:24 UHRERWITTE –  LESEZEIT 6 MIN

Meterhoch bewachsen ist die Fläche mittlerweile: Das freut  August Börs und Heinrich Bergmann.

Drei Aktenordner voll an Schriftverkehr haben sich in den vergangenen mehr als drei Jahren bei Heinrich Bergmann angehäuft: Lange hat sich der Senior zusammen mit August Börs und weiteren Anwohnern aus Bad Westernkotten gegen die geplante Bebauung an der Fredegrasstraße gewehrt, die anstelle von Wald erfolgen sollte. Das Oberverwaltungsgericht kippte im April schlussendlich den Bebauungsplan der Stadt Erwitte und gab damit der örtlichen Initiative und Naturschützern Recht.

Bad Westernkotten – Die Bauplätze wurden verhindert, die Fläche soll eine „grüne Insel“ bleiben: Auf die am Ende aus ihrer Sicht erfolgreichen Bemühungen blicken Heinrich Bergmann und August Börs aus Bad Westernkotten im Gespräch zurück, zu dem unsere Zeitung beide eingeladen hatte:

Wie alles begann…

Nachdem August Börs auf die Planungen aufmerksam wurde, dass die Waldfläche zwischen Fredegrasstraße und alter Kläranlage in vier Bauplätze umgewandelt werden soll, ergriff der Senior als Erster die Initiative. Er berichtet, wie er im Januar 2019 Kontakt zur heimischen Gruppe des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) aufnahm und um Hilfe bat. „Es erscheint mir ein hohes Gut zu sein, dieses kleine Stückchen Natur für die dort lebenden Bewohner und auch gerade für unsere Kinder so zu erhalten“, hielt der 90-Jährige im ersten Schriftwechsel fest. Wenig später bekam auch Heinrich Bergmann durch die Patriot-Berichterstattung Wind von den Plänen. „Da ist mir die Hutschnur geplatzt“, erinnert er sich. In der Vergangenheit seien schon viele Bäume im Heilbad entnommen worden. „Dabei haben wir doch schon jetzt nur 2,2 Prozent an Waldfläche im gesamten Stadtgebiet.“ Der 82-Jährige, Mitglied in Bürgergemeinschaft (BG) und BUND, trat an das Landesbüro der Naturschutzverbände NRW in Oberhausen heran. „Schon da teilte man mir mit, dass das beschleunigte Planverfahren der Stadt nach EU-Recht eigentlich nicht angewandt werden darf.“ Gleichzeitig erhielt er die Einschätzung, dass gute Chancen im Falle eines späteren Gerichtsverfahrens bestünden, das Baugebiet zu verhindern.

Irgendwann trafen sich die Wege von Bergmann, Börs und weiteren Anwohnern aus Bad Westernkotten, die eine Bürgerinitiative gründeten. Eine Unterschriftenaktion gegen die Planungen wurde gestartet, an der sich knapp 2000 Unterstützer beteiligten. Dafür gab es Gegenwind von Teilen der Politik und Verwaltung. „In öffentlicher Sitzung wurde die Rechtmäßigkeit angezweifelt, da auch Unterschriften von Bürgern über Bad Westernkotten hinaus gesammelt wurden. Dabei ist in Paragraph 24 der Gemeindeordnung des Landes NRW klar geregelt, dass jeder unterschreiben darf“, so Bergmann. Dagegen habe er sich schriftlich gewehrt, woraufhin der Sachverhalt auch von der Verwaltung erneut in öffentlicher Sitzung richtiggestellt worden sei. „Daran sieht man die juristische Kenntnis innerhalb der Verwaltung“, bemerkt er mit einem Seitenhieb. Bei dem von der Stadt selbst in Auftrag gegebenen Gutachten hatte der Umweltsachverständige Dr. Loske im November 2019 festgestellt, dass nicht nur eine Vorprüfung sondern auch eine vertiefende Artenschutzprüfung nach Stufe II erforderlich ist. „Die Stadt unter dem vorherigen Bürgermeister Wessel hat das einfach vom Tisch gewischt. Das war ein starkes Stück“, findet Bergmann.

Vermittlungsversuche und Anfeindungen…

Bei CDU und SPD, so Bergmann, seien er und seine Mitstreiter vorstellig geworden, um für den Erhalt des Waldes zu werben. Beide Fraktionen hatten die Umwandlung in Bauplätze mit der Mehrheit im Rat befürwortet. „Wir wurden lächerlich und zur Schnecke gemacht“, erinnert er sich. „Die Planungen sollten mit der Brechstange durchgeboxt werden.“

Von Diffamierungen und persönlichen Herabsetzungen berichtet August Börs, denen sich die Wald-Unterstützer darüber hinaus von anderen Befürwortern der Bauplätze ausgesetzt sahen. „Wer keine Argumente hat, kommt halt mit Diffamierungen“, so Börs.

Ein letzter Vermittlungsversuch mit der Stadt habe es im Juli 2021 gegeben, so Bergmann. „Wir haben mehrere Gutachten vorgelegt und auf die Gefahr hingewiesen, dass die Verwaltung vor Gericht verliert.“ Auch danach sei kein Umdenken erfolgt. Im Nachhinein ein großer Fehler, kritisieren die Anführer der Initiative. „Die Kosten für Planung, Gutachten und das Gerichtsverfahren summieren sich für die Verwaltung sicherlich auf über 100 000 Euro. Das Geld hätte man besser investieren können“, legt Bergmann den Finger in die Wunde.

Über den gewonnenen Kampf…

Als „Paukenschlag“ bezeichnete unsere Zeitung das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OV) Münster im April dieses Jahres. Nach dem eingeleiteten Normenkontrollverfahren wurde der Bebauungsplan im Ergebnis für unwirksam erklärt. Der BUND hatte im vergangenen November im Sinne der Initiative geklagt, im April wurde das Urteil gesprochen. Dass die Zeit dazwischen vergleichsweise kurz ausfiel, sieht Bergmann als Indiz für die Eindeutigkeit: „Ansonsten dauern diese Verfahren um die zwei Jahre.“ Haben die beiden Anführer der Bürgerinitiative denn immer dran geglaubt, wirklich zu gewinnen? „Immer, von Anfang an“, bekräftigt August Börs mit voller Überzeugung. Das frühere Ratsmitglied gibt aber zu: „Alleine hätte ich das nicht geschafft.“ Dementsprechend froh war er, dass Heinrich Bergmann und weitere Anwohner das Anliegen unterstützten. „Die Stadt wäre damit nicht durchgekommen“, ist Mitstreiter Bergmann überzeugt. „Deshalb hätten wir auch weiter gekämpft, wenn das Gerichtsurteil nicht so ausgefallen wäre, wie es glücklicherweise ausgefallen ist.“ Schließlich hätten alle Juristen, die die Initiative zurate gezogen hat, gesagt, dass der Wald an dieser Stelle Vorrang hat. „Der Kampf hat sich gelohnt“, stellt er zufrieden fest.

Was aus der Fläche jetzt werden soll…

Der knapp 3000 Quadratmeter große frühere Waldstreifen ist inzwischen meterhoch bewachsen mit Büschen und Sträuchern. Der BUND würde diesen Zustand gerne so belassen, da diese kleine „wilde Insel“ nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Förderung der biologischen Artenvielfalt leistet, sondern auch die extrem waldarme Lebensraumsituation in Erwitte verbessert. In der Mitte, erklärt Bergmann, wird darüber nachgedacht, vereinzelt Bäume zu pflanzen wie Flatterulmen aus dem Schwarzenrabener Wald oder Eichen. Auch die Stadt stehe diesem Wunsch, weiß er, positiv gegenüber. Im Herbst sei ein Ortstermin mit Verwaltung, Forstamt und BUND geplant, um über die Gestaltung zu beraten.

Beide Senioren geben sich zum Schluss versöhnlich: „Wir sind froh und dankbar, dass das jetzt aus der Welt geräumt wurde und die Stadt von der Bebauung Abstand nimmt“, sagt Bergmann. Wohl wissend, dass die Verwaltung theoretisch auch einen weiteren Anlauf für einen neuen Bebauungsplan starten könnte.

++++ Zusammengefasst: Chronologie und Urteil ++++

Der Bebauungsplan „An der alten Kläranlage“ in Bad Westernkotten war durch die Stimmen der Ratsmehrheit von CDU und SPD bereits beschlossene Sache. Vier Bauplätze sollten auf der Fläche des gerodeten Waldstücks entstehen. Die Bäume waren krank und mussten entfernt werden. Über mehrere Jahre hatte sich die örtliche Initiative mit der hiesigen BUND-Gruppe gemeinsam für eine Wiederaufforstung eingesetzt. Mehr als drei Jahre schwelte der Streit. Ein Normenkontrollverfahren wurde vor dem Oberverwaltungsgericht Münster eingeleitet, in dem im April dieses Jahres die Unzulässigkeit des Bebauungsplans festgestellt worden ist. In der Urteilsbegründung, die unserer Redaktion vorliegt, heißt es, dass der Bebauungsplan „durchgreifende formelle Mängel aufweist“ und „grundlegend formell fehlerhaft“ ist. „Er hätte nicht im beschleunigten Verfahren nach §§13a, 13b BauGB – ohne Durchführung einer Umweltprüfung – beschlossen werden dürfen“, lautet das deutliche Urteil. Verwaltung und Politik haben nach der OVG-Entscheidung angekündigt, die Bebauung nicht weiter zu verfolgen.

Kommentar

Von Björn Theis

Bürger-Engagement hat gesiegt: Jetzt Gras über die Sache wachsen lassen

  

Die vier Bauplätze für Bad Westernkotten, der damit verbundene Ärger in den vergangenen Jahren und die Kosten waren es nicht wert: Diese Erkenntnis dürfte sich mittlerweile auch bei der Stadt Erwitte sowie CDU und SPD durchgesetzt haben, die die frühere Waldfläche an der Fredegrasstraße quasi mit dem Kopf durch die Wand in Bauland umwandeln wollten. Das Vorhaben stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Anwohnerprotest, die Politik war gespalten und dazu die rechtlichen Bedenken aus Naturschutzsicht. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das den Bebauungsplan letztlich gekippt hat, ist damit eine schallende Ohrfeige für die Stadt. Die Verwaltung muss daraus zwingend die entsprechenden Lehren ziehen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Gewinner ist die örtliche Initiative, die erreicht hat, dass die Fläche nicht bebaut wird und stattdessen wohl der natürlichen Wiederbewaldung überlassen wird. Aber es bleibt eine weitere wichtige Erkenntnis: dass sich leidenschaftliches Engagement von Bürgern für eine Sache lohnen kann. Die Anwohner um Heinrich Bergmann und August Börs an der Spitze haben es vorgemacht. Nach dem jahrelangen Zankapfel ist es nun aber an der Zeit, dass in jeder Hinsicht Gras, Bäume und anderes Grün über die Sache wächst.

Björn Theis