Hilfsbereitschaft 12.03.2015
Quelle: Patriot vom 12.03.2015
Erwitte Sie ist erst 20 Jahre jung, doch was sie durchmachen musste, wäre selbst für ein langes Leben viel zu viel. Ihren Vater hat Semira nie kennengelernt, er kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Als sie zwölf war, starb auch ihre Mutter. Die Tante des Mädchens aus Eritrea gab sie bald als Hausmädchen in eine Großfamilie, wo es ihr nicht gut erging. Vor rund einem Jahr machte sich Semira dann zu Fuß auf den Weg aus dem afrikanischen Land Richtung Europa. Der beschwerliche Marsch führte sie und andere, die mit Schleusern unterwegs waren, nach Äthiopien, dann durch den Sudan und damit mitten durch die Wüste. Als irgendwann das Wasser ausging, trank sie ihren eigenen Urin, um zu überleben. Viele aus ihrer Gruppe sah sie sterben. Da war sie 19 Jahre alt. Auf einem Flüchtlingsboot setzte die ausgezehrte Afrikanerin von Libyen nach Lampedusa und weiter nach Italien über, kam über Rom nach München und schließlich nach Erwitte. Weiterhin viele Herausforderungen Dass nicht nur der 20-Jährigen am Mittwochabend in der Festhalle die Tränen in den Augen standen, versteht sich von selbst.
Dorthin waren zum Informationsabend „Asyl – Integration und Ehrenamt“ rund 150 Einwohnerinnen und Einwohner aus dem ganzen Stadtgebiet gekommen – viele von ihnen im sozialen Netzwerk, der Politik, den Vereinen und Kirchengemeinden engagiert. Mit dabei waren ebenso die Schulsozialarbeiter, die Jugendpfleger, Vertreter von Schulen sowie Schülerinnen und Schüler. Von der Stadt Erwitte informierten Fachbereichsleiterin Bettina Marbeck, Aufgabenbereichsleiter Christian Hoffmann und Sylvia Münzel über die aktuelle Flüchtlingswelle und damit verbundene Herausforderungen. Brigitte Strauch und Brigitta Niggenaber, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren (wir berichteten), gingen auf ihr Wirken ein.
Unterstützung für den Abend kam auch von Bürgermeister Peter Wessel, der spontan eine Sitzung des Sparkassen-Verwaltungsrates kurzzeitig verlassen hatte, um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu begrüßen. Bettina Marbeck schilderte die allgemeine Situation aus Sicht der Verwaltung: „Stand heute haben wir in diesem Jahr bereits 30 Zuweisungen von Flüchtlingen. Bekommen wir Menschen zugewiesen, bleiben uns maximal drei Tage, bis sie vor dem Rathaus stehen und unsere Hilfe benötigen.“ Langfristiges Planen sei nur schwer möglich. Christian Hoffmann zufolge gibt es aktuell in den Asylunterkünften gerade noch drei freie Plätze. Er richtete erneut einen Appell an Vermieter, kleine bis mittlere Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen. Auf die finanzielle Lage ging Sylvia Münzel ein. Ihr zufolge stehe bereits fest, dass die im Haushalt vorgesehenen 710 000 Euro, die zur Finanzierung der aktuellen Lage dienen, wohl nicht ausreichen werden. Ebenso schilderte sie den offiziellen Ablauf bei der Ankunft neuer Flüchtlinge – von der Aufnahme, über Behördengänge bis zur Zahlung des ersten Geldes für den Lebensunterhalt in Höhe der Sozialhilfe. Einen Job annehmen dürfen die Flüchtlinge übrigens unter ganz bestimmten Voraussetzungen erst nach 3 Monaten, nach 15 Monaten werden die Voraussetzungen dann niedriger.
Dramatische Flucht in die Sicherheit
Mit Blick auf das Ehrenamt ging Brigitte Strauch, Ansprechpartnerin für das Ehrenamt, u.a. auf das Erwitter Netzwerk zur Unterstützung der Flüchtlinge ein, das 31 Engagierte zählt (Stand: 11. März). „Lassen Sie die Menschen einfach nur am Erwitter Leben teilnehmen“, so Strauch. Zugleich machte sie deutlich, dass weiterhin tatkräftige Unterstützer gesucht werden (s. Infokasten). Besonders emotional wurde der Informationsabend dann durch die persönliche Geschichte der Asylbewerberin Semira (s. Beginn des Artikels). Gemeinsam mit den beiden Flüchtlingen Daniel und Shpetim stellte sich die Afrikanerin der Versammlung vor. Von ihren Emotionen eingeholt, ließ sie dann aber Brigitta Niggenaber die dramatischen Geschehnisse auf ihrer Flucht ins sichere Deutschland beschreiben. „Die Stadt tut bereits, was sie kann. Aber gewisse Dinge kann die Verwaltung letztlich auch nicht mehr leisten. Genau dort setzt unsere Hilfe an. Und genau dafür bitten wir um Ihre Unterstützung“, sagte Brigitta Niggenaber den Teilnehmern des Abends weiter, deren Fragen die Fachleute auf dem Podium schließlich gern beantworteten. n bw