Haushaltsrede 2017 16.12.2016
Lothar Strauch
„Nichts ist leichter als Selbsttäuschung, denn was ein Mensch wahr haben möchte, hält er auch für wahr.“ Dieser Satz hat brisante Aktualität, denn der postfaktische Populismus ist gesellschaftlicher Trend und auf dem Vormarsch. Der Satz stammt von Demostenes, einem altgriechischen Politiker, der 322 v.Chr. starb.
Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Bürgermeister, das Thema Umgehungsstraßen beschäftigte uns in diesem Jahr sehr stark. In einem Leserbrief vom 1.12. wird „Nichts als die reine Wahrheit“ zu diesem Thema eingefordert. Problematisch ist, dass die vermeintliche Wahrheit zum Thema Umgehungsstraßen sehr stark davon abhängt, in welchem Ortsteil man wohnt. Schlimm ist, dass sich manche Verfasser von Zeitungsartikeln in der Erleuchtung der absoluten Wahrheit wähnen und keine anderen Argumente mehr zulassen. Klar ist, dass uns dieses Thema noch Jahre erhalten bleiben wird. Gut wäre, wenn die Diskussionsbeiträge sachbezogen geführt würden. Gut ist, dass die B1n wieder im vordringlichen Bedarf ist – das hat die BG jahrelang gefordert. Wir in der Kernstadt brauchen beide und –immerhin- die B1n-Südumgehung scheint jetzt zeitnah realisierbar zu sein.
Wahr und gut ist, dass es in diesem Jahr keine Abgabenerhöhungen geben muss und wird. Zur Wahrheit gehört aber, im Vergleich mit anderen Kommunen des Kreises gehören wir auch ohne Steuererhöhungen immer noch zur Spitzengruppe und unser Haushalt bleibt immer noch mit geplanten 1,2 Mio Euro defizitär.
Transferaufwendungen d.h. Abgaben an Kreis und andere machen mehr als die Hälfte unserer Ausgaben aus, nämlich aktuell 19,25 Mio- eine Steigerung von 0,6%. Davon macht die Kreisumlage mit wahrscheinlich gut 12 Mio €, also ca. 60 % aus und ist auf dem Niveau von 2015.
Sie, Herr Bürgermeister, haben bei der Vorstellung des vorliegenden Entwurfs davon gesprochen, überflüssige Kosten zu vermeiden und Haushaltsansätze zu reduzieren.
Das kann man beim Jugendzentrum ( Sachkosten -1,3%), Gewerbewesen, Verkehrsanlagen und Umweltschutz ablesen. Für andere freiwillige Leistungen geben wir nach wie vor z.T. relativ viel Geld aus. So gibt es z.B. keine Konsolidierung im Bereich Tourismus und Stadtmarketing- knapp 200 000 € – das sind 11,89 € pro Einwohner.
Aber auch im eigenen Haushalt steigen erneut Ausgaben: Sach- und Dienstleistungen um +1,3 % und Personal um +6,5%. Die letztere Steigerung wurde von der Verwaltung nachvollziehbar erläutert und begründet. Dennoch sprechen wir in Erwitte über höhere Personalkosten im Vergleich zu Nachbarkommunen. Und das schon seit Jahren. Bei diesem Thema gibt es keine einfachen Patentlösungen und Wahrheiten, die allen Anforderungen gerecht würden.
Die Sozialkosten explodieren regelrecht, das merken wir auch in Erwitte. Meine Absicht ist im Folgenden nicht, notwendige Sozialleistungen in Frage zu stellen, die für die Empfänger meist lebensnotwendig sind. Aber das folgende Beispiel zeigt, welche Blüten Sozialpolitik in Deutschland treiben kann:
Das Unterhaltsvorschussgesetz wurde als neues Gesetz auf Bundesebene verabschiedet und die Bundessozialpolitikerinnen und -politiker feierten sich und das Gesetz wie üblich in den Medien nach dem Motto, dass das Gesetz bewirke, dass die Gruppe der Alleinerziehenden Mütter mit ihren Kindern sozial nicht abgehängt würden und ihnen endlich gesellschaftliche Teilhabe möglich sei.
Das Unterhaltsvorschussgesetz regelt, dass die Öffentliche Hand dann Unterhaltsvorschuss zahlt, wenn der Unterhaltzahlungspflichtige nicht bezahlt. Das gezahlte Geld fordert der Staat dann zurück, wenn es eintreibbar ist. Das hört sich doch gut an, oder? Man geht davon aus, dass nur ein Drittel dieser Vorschusszahlungen zurückgezahlt werden wird. Nun die Kostenverteilung? 33% zahlt der Bund, den Rest, also 66% zahlen die Länder, Diese Kosten, also 66% können von den Ländern unterschiedlich weitergegeben werden. Nordrhein-Westfalen ist das einzige Land, das die Kosten komplett auf die Träger weitergibt, also die Kreise und Kommunen. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Die meisten Geldempfänger sind auch Hartz IV Empfänger. Zuwendungen aus beiden Töpfen werden verrechnet. Für die betroffene Familie kommt finanziell nicht wirklich was heraus. Der Überschuss von Hartz IV geht zurück an den Bund. Unter dem Strich verabschiedet der Bund ein Gesetz, die Kreise und Kommunen zahlen, die Betroffenen haben wenig oder nichts, der Bund spart an Hartz IV- Leistungen. Das macht sich doch optimal für die Statistiken der Bundespolitik. So oder so ähnlich läuft es leider oft. Bund und Länder machen Sozialgesetze, die Kreise und die Kommunen können zahlen. Wir brauchen dringend das konsequente Konnexitätssprinzip bei Sozialleistungen- wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen.
Die Betreuung der Asylsuchenden durch städtisches Personal und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer dient der Integration und ist in Erwitte vorbildlich. In diesem Jahr stand die Versorgung mit Wohnraum, das Organisieren von Deutschkursen und die soziale Begleitung der Familien im Mittelpunkt der Arbeit. Danke an alle, die in diesem Bereich tätig sind und waren. In diesem Zusammenhang sei die tolle Kirmes-Fast-Food-Aktion genannt, wo sich Einheimische und Flüchtlinge eingebracht haben. Die Kirmesbesucher probierten Spezialitäten aus Syrien, Afghanistan und Iran und kamen mit den Flüchtlingen ins Gespräch. Um zukünftige Zuwanderung einzudämmen, wünschen wir uns, dass Rat und Verwaltung das Fairtradekonzept unterstützen und die Stadt Erwitte Fairtrade-Town wird. Unser Dank gilt darüber hinaus allen, die ehrenamtlich in unserer Stadt tätig sind, in Vereinen, Feuerwehr, Hilfsorganisationen und Kirchen.
Die BG-Fraktion hat einen Änderungsantrag zur Realisierung des dringend notwendigen Radweges Erwitte-Völlinghausen ab 2018 eingebracht. Ich bedanke mich bei der Verwaltung und den anderen Fraktionen für die Zustimmung. Die notwendige Erweiterung und der Erhalt der Infrastruktur wird für die Erwitter Kommunalpolitik eine Herausforderung der nächsten Jahre sein: Stadtplanung und Umgestaltung des Hellwegs, Innenstadtkonzept, die Entwicklung des Kurortes, die städtischen Hallen, Ausweisung geeigneter Baugebiete, Erhalt und notwendiger Neubau von Straßen und Radwegen. und die medizinische Versorgung der alternden Gesellschaft. Es sollte ebenfalls überprüft werden, ob die Sekundarschule Erwitte/ Anröchte, die sehr gute pädagogische Arbeit leistet, auf Dauer an zwei Standorten untergebracht wird.
Die Stadt Erwitte hat nach wie vor keine Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Wir sind bereit, den Konsolidierungsprozess konsequent weiter zu verfolgen, um die Abgabenlast der Bürgerinnen und Bürger nicht unnötig immer weiter zu steigern.
Wir bedanken uns bei der Verwaltung, vornehmlich bei dem Stadtkämmerer Sven Hoppe für die Professionalität und Transparenz bei der Erstellung und Erläuterung des Haushaltsplanes. Unser Dank gilt dem Bürgermeister und allen Verwaltungsmitarbeiterinnen, den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen und der Presse für die gute und faire Zusammenarbeit in diesem Jahr. Die offene Begegnung und Diskussion, die gegenseitige Toleranz und die sachorientierte Arbeit sind die besten Garanten gegen populistische Vereinfacher, Eigentümer der absoluten Wahrheit und Extremisten.
Wir stimmen dem vorgelegten Haushaltsplan zu.